🎯 KLAR – Kompaktes Lehr-Analyse-Raster

Reflexionsraster fĂĽr die Professionalisierung und Lehrkraftentwicklung

Hs.-Prof. Dr. Jörg Mußmann (Pädagogische Hochschule Oberösterreich)

Reflexionskompetenz gilt als eine der zentralen professionellen Anforderungen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung und ist ein Merkmal pädagogischer Professionalität. Sie bildet die Grundlage dafür, Unterricht systematisch zu beobachten, zu analysieren, zu überdenken und weiterzuentwickeln (Kunter & Ewald, 2016; Reusser, Pauli & Elmer, 2011). Professionelle Reflexion bedeutet dabei mehr als das intuitive Zurückschauen: Sie umfasst die bewusste Auseinandersetzung mit eigenem Handeln, den Reaktionen der Lernenden, den situativen Bedingungen sowie den zugrunde liegenden Überzeugungen und Annahmen. Pädagogische Professionalität wird damit weiterentwickelt. Die Forschung zeigt, dass solche strukturierte Reflexion ein wesentlicher Faktor für die langfristige Verbesserung von Unterrichtsqualität und die Entwicklung einer professionellen Haltung ist (Helmke, 2017; Hattie, 2012).

Das KLAR – Kompakte Lehr-Analyse-Raster unterstützt Studierende und Lehrkräfte dabei, Unterrichtserfahrungen differenziert zu reflektieren. Es strukturiert die Reflexion entlang sechs Bereiche (A–F): Beobachten, Möglichkeiten erkunden, Orientierungen erkennen, Hintergründe erklären, Veränderungen entwickeln sowie Metareflexion und Professionalisierung. Diese sechs Perspektiven verbinden empirische Forschung zu Unterrichtsqualität (Helmke, 2017), professionelle Kompetenzmodelle aus der Lehrerbildungsforschung (Kunter & Ewald, 2016) und klassische Reflexionstheorien (Schön, 2017; Brookfield, 2017).

Das KLAR-Raster ermöglicht es, Unterrichtssituationen sowohl beschreibend (WAS ist passiert?) als auch analytisch (WARUM ist es passiert?) und handlungsorientiert (WAS mache ich als Nächstes?) zu betrachten. Dieser Dreischritt entspricht international etablierten Modellen professioneller Reflexion und trägt dazu bei, pädagogisches Handeln kontinuierlich zu erweitern, Fehlerfreundlichkeit zu stärken und Lernenden eine inklusionsorientierte, adaptive Lernumgebung zu bieten (Darling-Hammond et al., 2020). Das Raster kann unmittelbar nach Unterrichtssituationen, im Rahmen von Praktika, Seminaren, Mentorings oder im selbstgesteuerten Lernen eingesetzt werden.

🟦 A – Beobachten

Was ist faktisch passiert? Was habe ich getan? Was war sichtbar oder spĂĽrbar?

A1 Ergebnisse – Was habe ich getan, gesagt oder produziert?
[Beispiele:
Ich habe die Aufgabe verbal erklärt und an der Tafel strukturiert dargestellt.
Ich habe RĂĽckmeldungen gegeben, die eher knapp und korrigierend waren.]

A2 Prozesse – Wie habe ich gehandelt, moderiert, erklärt oder unterstützt?
[Beispiele:
Ich habe viel frontal angeleitet und weniger nachgefragt; ich habe den Austausch eher gelenkt.
Ich habe Arbeitsphasen verkĂĽrzt, um den Zeitplan einzuhalten.]

A3 Empfinden – Welche Gefühle hatte ich während der Situation?
[Beispiele:
Ich war angespannt, weil die Gruppe unruhig wurde.
Ich war zufrieden, als die EinfĂĽhrung gut gelang.]

A4 Denken – Welche Gedanken begleiteten mich während der Situation?
[Beispiele:
Ich dachte: „Ich muss das Tempo erhöhen.“
Ich fragte mich, ob die Aufgabe gut verstanden wurde.]

A5 Lernende – Was zeigten oder signalisierten die Lernenden konkret?
[Beispiele:
Einige Lernende wirkten überfordert und baten um Wiederholung; Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf suchten Orientierung.
Mehrsprachige Lernende nutzten Gestik oder Peer-Unterstützung, um Verständnis sicherzustellen.]

🟩 B – Möglichkeiten erkunden

Was hätte anders verlaufen können? Welche Alternativen standen zur Verfügung?

B1 Ergebnisse – Welche alternativen Inhalte oder Impulse wären möglich gewesen?
[Beispiele:
Eine Visualisierung hätte Missverständnisse vermeiden können.
Ein Beispiel aus dem Alltag hätte den Zugang erleichtert.]

B2 Prozesse – Welche anderen Handlungsmöglichkeiten gab es?
[Beispiele:
Ich hätte eine kooperative Methode einsetzen können.
Eine zusätzliche Differenzierung wäre leicht umsetzbar gewesen.]

B3 Empfinden – Welche emotionalen Alternativen wären denkbar?
[Beispiele:
Ich hätte ruhiger reagieren können.
Lernende hätten sich sicherer gefühlt, wenn die Erwartungen klarer gewesen wären.]

B4 Denken – Welche alternativen Denkweisen oder Perspektiven wären hilfreich gewesen?
[Beispiele:
Ich hätte stärker auf Vorerfahrungen der Lernenden achten können.
Eine Fehlerfreundlichkeitsperspektive hätte entlastet.]

B5 Lernende – Welche weiteren Zugänge wären für Lernende denkbar gewesen?
[Beispiele:
Ein sprachlich vereinfachter Input wäre hilfreich gewesen.
Stärkere Visualisierung für mehrsprachige Lernende.]

🟧 C – Orientierungen erkennen

Welche inneren oder äußeren Orientierungen haben mein Handeln beeinflusst?

C1 Ergebnisse – Welche situativen Bedingungen führten zu meinem Handeln?
[Beispiele:
Zeitdruck; unerwartete Störungen; abweichender Lernstand.]

C2 Prozesse – Welche Überzeugungen oder Haltungen leiteten mein Vorgehen?
[Beispiele:
Ich wollte Lernende nicht ĂĽberfordern.
Ich folgte einer Routine, die sonst gut funktioniert.]

C3 Empfinden – Welche Erfahrungen oder Normen beeinflussten mein emotionales Reagieren?
[Beispiele:
Meine Belastung durch andere Verpflichtungen.
Frühere Unterrichtssituationen, die ähnlich verliefen.]

C4 Denken – Welche Wissensbestände oder Annahmen prägten mein Denken?
[Beispiele:
Annahme: „Sie können das schon.“
Orientierung stärker am Lernziel als am Prozess.]

C5 Lernende – Welche Erwartungshaltungen gegenüber Lernenden beeinflussten mich?
[Beispiele:
Ich nahm an, dass bestimmte Lernende mehr UnterstĂĽtzung brauchen.
Ich erwartete, dass mehrsprachige Lernende zusätzliche Erklärungen benötigen.]

🟥 D – Hintergründe erklären (Kontextanalyse)

Wie wirken Rahmenbedingungen, Strukturen und systemische Faktoren?

D1 Ergebnisse – Warum waren bestimmte äußere Bedingungen relevant?
[Beispiele:
Raumsituation; Lärmniveau; Materialverfügbarkeit.]

D2 Prozesse – Welche institutionellen oder organisatorischen Faktoren spielten hinein?
[Beispiele:
Stundenplanwechsel; Schulregelungen; technische Ausstattung.]

D3 Empfinden – Welche Rahmenbedingungen verstärkten bestimmte emotionale Reaktionen?
[Beispiele:
Hohe Erwartungen im Kollegium.
Begrenzte Ressourcen; PrĂĽfungsphase.]

D4 Denken – Welche schulischen oder gesellschaftlichen Normen prägten mein Denken?
[Beispiele:
Leistungsorientierung; Inklusionsanforderungen.
Pädagogische Grundhaltungen des Teams.]

D5 Lernende – Welche übergeordneten Bedingungen wirken auf Lernende ein?
[Beispiele:
Mehrsprachigkeit; sonderpädagogischer Förderbedarf; soziales Umfeld.
Kulturelle Hintergründe oder familiäre Belastungen.]

🟫 E – Veränderungen entwickeln (Handlungsplanung)

Was werde ich bewusst verändern – konkret, umsetzbar, realistisch?

E1 Ergebnisse – Was mache ich beim nächsten Mal anders?
[Beispiele:
Klarere Zielformulierung; Visualisierungen einbauen.
Mehr Zeit fĂĽr RĂĽckfragen einplanen.]

E2 Prozesse – Welche Handlungsschritte plane ich konkret?
[Beispiele:
Mehr Differenzierung; strukturiertere Arbeitsaufträge.
Gezieltere Partner- oder Gruppenarbeit.]

E3 Empfinden – Wie gehe ich konstruktiv mit belastenden Emotionen um?
[Beispiele:
Atmung stabilisieren; kurze Pausen einbauen.
Reflexion im Kollegium oder Mentoring nutzen.]

E4 Denken – Welche Denkweisen möchte ich weiterentwickeln?
[Beispiele:
Fehlerfreundlichkeit stärken.
Flexibilität zulassen; Erwartungen überprüfen.]

E5 Lernende – Wie verbessere ich Zugänge und Barrierefreiheit?
[Beispiele:
Mehrsprachige Materialien nutzen; klarere Strukturierung.
Adaptive Lernwege; inklusive Methoden verstärken.]

🟪 F – Metareflexion & Professionalisierung

Wie entwickle ich meine professionelle Identität langfristig weiter?

F1 Zukunftsorientierte Professionalisierung
[Beispiele:
Regelmäßige Peer-Reflexion; Nutzung eines Portfolios.
Hospitationen; Aufbau nachhaltiger Routinen.]

📚 Literatur

• Brookfield, S. D. (2017). Becoming a Critically Reflective Teacher (2nd ed.). Jossey-Bass.

• Darling-Hammond, L., Flook, L., Cook-Harvey, C., Barron, B., & Osher, D. (2020). Implications for educational practice of the science of learning and development. Applied Developmental Science, 24(2), 97–140.

• Hattie, J. (2012). Visible Learning for Teachers: Maximizing Impact on Learning. Routledge.

• Helmke, A. (2017). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Kallmeyer/Klett.

• Kunter, M., & Ewald, S. (2016). Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Springer.

• Reusser, K., Pauli, C., & Elmer, A. (2011). Berufsbezogene Reflexion als Bestandteil professioneller Kompetenz. In E. Klieme et al. (Hrsg.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften (S. 151–170). Beltz.

• Schön, D. A. (2017). The Reflective Practitioner: How Professionals Think in Action. Routledge.